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Aus dem Alltag eines Anwalts: Der Kostenvoranschlag
Wer als Anwalt eine kostenlose Ersteinschätzung, z.B. in Filesharing-Angelegenheiten, anbietet, tut dies natürlich in erster Linie zur Mandantenakquise. Zwar sollen potentielle Mandanten eine Möglichkeit erhalten, die Kosten und Risiken in ihrer Angelegenheit einzuschätzen. Aber natürlich kann oder soll eine solche Ersteinschätzung niemals eine umfassende Beratung und Vertretung ersetzen.
Anwälte, die eine solche kostenlose Ersteinschätzung anbieten, wissen das. Sie wissen auch, dass es im Grunde 3 Typen von Mandanten gibt, die eine solche Ersteinschätzung nutzen:
- Der – für den Anwalt – angenehmste Typ ist derjenige Mandant, der sich bereits vor seiner Anfrage entschlossen hat, den Anwalt später auch zu beauftragen und sodann im Rahmen des Erstberatungsgespräches dieses auch mitteilt. Idealerweise hat er die Unterlagen bereits per Email oder Fax geschickt, so dass die Beratung gleich über die Erstberatung hinausgehen kann.
- Dann gibt es den Typ des unentschlossenen Mandanten: er ist sich bewusst darüber, dass er mit einem Rechtsproblem konfrontiert ist, weiß aber – mangels Kenntnis vom Umfang des Problems – noch nicht, ob er sich diesem mit oder ohne anwaltlicher Hilfe stellen soll. Genau an diesen Mandantentypus ist eine derartige kostenlose Ersteinschätzung gerichtet, da der Mandant so die Möglichkeit erhält, sich der Tragweite seiner Angelegenheit bewusst zu werden und anschließend in Ruhe entscheiden kann, ob er sich vertreten lassen möchte oder ob er sein Glück auf eigene Faust versucht.
- Die letzte Kategorie stellen diejenigen „Mandanten“ dar, die eine anwaltliche Vertretung bereits vor dem Anruf unwiderruflich ausgeschlossen haben. Sie rufen trotzdem an, weil sie erwarten, im Rahmen der Ersteinschätzung eine umfassende und vollständige Aufklärung zu erhalten. Idealerweise mit Diktat einer konkret abgeänderten Unterlassungserklärung und dem Einzelfallanschreiben an die Gegenseite, in dem mit ausufernder Begründung alle Zahlungsansprüche zurückgewiesen werden. Erfahrene Anwälte erkennen „Mandanten“ dieser Kategorie recht schnell. Indizien sind die Ankündigung, die kostenlose Beratung (niemals: Erstberatung!) in Anspruch nehmen zu wollen, die Mitteilung, man kenne die Rechtslage aufgrund eigener Recherche bereits oder es handle sich ja ohnehin um Abzocke. Persönlich bin ich geneigt, in diese Kategorie auch diejenigen Mandanten einzuordnen, die sich der Reihe nach durch eine Vielzahl von Kanzleien telefonieren, das Honorar erfragen (und dieses, erkennbar an einer kurzen Pause im Telefongespräch, in eine Liste der auf diese Weise abgearbeiteten Kanzlei eintragen) und anschließend das Gespräch auf verschiedenste Arten beenden, entweder nachdem der Versuch einer umfassenden kostenlosen Beratung gescheitert ist oder nachdem die erste Einschätzung dem Ratsuchenden missfallen hat.
Anwälte, die eine solche kostenlose Ersteinschätzung anbieten, wissen, dass vor allem Telefonate mit Mandanten der letztbeschriebenen Kategorie durchaus anstrengend sein können.
Kürzlich rief ein solcher Mandant in unserer Kanzlei an. Da ich gerade etwas Freiraum hatte, nahm ich mir für das Telefonat ausnahmsweise etwas mehr Zeit, als ich sie eigentlich für solche Mandanten erübrigen kann. Der Mandant schilderte den Sachverhalt und ich klärte ihn allgemein über die Bedeutung der verschiedenen erhobenen Ansprüche auf. Da der Mandant – der die Rechtslage aufgrund eigener Recherche bereits kannte – mich immer wieder unterbrach, dauerte das Gespräch bereits einige Zeit. Der Mandant stellte schließlich fest, dass es sich ja ohnehin um Abzocke handle, er aber möglicherweise doch eine anwaltliche Vertretung in Betracht ziehen würde.
Auf Frage nach meinem Honorar nannte ich ihm dieses. Ich erläuterte ihm, dass ich ihm anstelle der Gebühren nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz ein reduziertes pauschales Honorar für die gesamte außergerichtliche Tätigkeit anbieten könnte. Dieses würde sich in seiner Angelegenheit und in Anbetracht des zu erwartenden Arbeitsaufwandes auf einen Betrag von 150,- Euro, pauschal und inklusive Mehrwertsteuer, belaufen.
Vor meinem geistigen Auge sah ich den Mandanten nicken und hörte durch den Telefonhörer, wie er sich die Zahl auf seiner Anwaltsliste notierte.
Ich teilte dem Mandanten sodann mit, dass er sich nun in Ruhe überlegen solle, ob er eine anwaltliche Vertretung wünsche und dass er gerne auf uns zukommen könne, so er sich denn dazu entschließen würde. Dann wollte ich das Gespräch beenden.
Allerdings hatte ich nicht mit dem Mandanten gerechnet.
Anrufer: „Können Sie mir einen schriftlichen Kostenvoranschlag zuschicken?“
Rechtsanwalt: „Wie meinen?“
Anrufer: „Na – damit ich Ihr Honorar kenne.“
Rechtsanwalt (etwas verwundert): „Ich habe Ihnen mein Honorar soeben genannt.“
Anrufer: „Ja. Ich brauche aber einen schriftlichen Kostenvoranschlag.“
Ich kläre den Mandanten darüber auf, dass es zwischen einem fest zugesagten Pauschalhonorar und einem Kostenvoranschlag einen Unterschied gibt. Zum Beispiel dürfen die in einem Kostenvoranschlag getroffenen Aussagen über den Gesamtpreis geringfügig überschritten werden, was bei einem Pauschalhonorar nicht möglich wäre. Der Mandant lässt nicht locker.
Anrufer: „Ich brauche trotzdem einen schriftlichen Kostenvoranschlag.“
Ich kläre den Mandanten erneut darüber auf, dass ich ihm meine Kosten bereits genannt habe und ich keinen Mehraufwand betreiben werde, um ihm die genannte Zahl bildlich vor Augen zu führen. Dabei lasse ich unerwähnt, dass er nur seine eigene Notiz zu lesen brauchte.
Anrufer: „Ich verstehe Sie nicht. Vor zwei Tagen hatte ich die Handwerker im Haus, die haben auch einen Kostenvoranschlag gemacht.“
Ich kläre den Mandanten darüber auf, dass Rechtsanwälte keine Handwerker sind.
Anrufer: „Das gefällt mir nicht.“
Ich kläre den Anrufer darüber auf, dass das zwar bedauerlich sei, dass ich aber gerade den letzten Minuten des Gesprächs ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber dem eigenen (potentiellen) Anwalt entnehme. Das Verhältnis von Mandant zu Anwalt ist aber gerade ein Vertrauensverhältnis, wenn insoweit schon Zweifel an der Höhe eines fest zugesagten Honorars bestehen, so dürfte die weitere Beratung schwierig bis unmöglich werden.
Das gibt dem Mandanten Anlass, mir nochmals zu erklären, dass es sich ja ohnehin um Abzocke handle und dass er von Handwerkern einen Kostenvoranschlag bekomme und dass es überhaupt unverständlich sei, weshalb ich meine Arbeit vergütet wissen möchte.
Daraufhin habe ich dem Anrufer mitgeteilt, dass ich selbst bei dem nicht zu erwartenden Entschluss, mich zu mandatieren, keine Grundlage für ein erfolgreiches Mandatsverhältnis sehe und ein solches daher vorsorglich ablehne. Dann habe ich das Telefonat beendet.
Ich hoffe, jedenfalls dieser Anrufer blieb auch Kollegen von mir als Mandant erspart.