Die Corona-Pandemie hat uns alle seit mehr als einem Jahr im Griff. Jeder von uns…
Aus dem Alltag eines Anwalts: Jaaber
Vor einigen Tagen gab es im spanischen Fernsehen ein Interview, in dem ein in einem Madrider Krankenhaus tätiger Arzt per Videoschalte von der Journalistin im Studio zur aktuellen Corona-Situation im Krankenhaus befragt wurde. Den Inhalt des Interviews kann man kurz wie folgt zusammenfassen: während die Journalistin, ausgehend von hohen Infektionszahlen, Fragen in Richtung einer Überlastung des Gesundheitssystems stellte, stellte der Arzt wiederholt fest, dass eine solche – jedenfalls in dem Krankenhaus, in dem er tätig war – nicht feststellbar sei. Die Erklärung des Arztes, dass eine Infektion nicht gleichbedeutend mit einer Erkrankung sei, wurde von der Journalistin weitgehend ausgeblendet. Als der Arzt sodann noch einen Vergleich zwischen der zu Anfang des Jahres schwierigen Situation zog, in der in spanischen Krankenhäusern eine Überlastung tatsächlich aufgetreten war, dann aber (wegen lediglich 3er neuer Corona-Fälle in der vorangegangenen Woche in „seinem“ Krankenhaus) schlussfolgerte, eine Pandemie sei derzeit nicht feststellbar, wurde es der Redaktion offensichtlich zu bunt. Das Interview fand ein abruptes Ende, nachdem ein weiterer im Studio anwesender Journalist den Arzt dahingehend zurechtgewiesen hatte, dass der Fernsehsender seit Wochen rund um die Uhr nahezu ausschließlich von der Pandemie berichtet habe und der Arzt diese ganz offensichtlich leugne. Es kam insoweit zu einer kurzen Auseinandersetzung dahingehend, dass der Journalist die Wahrnehmungen des Arztes im Krankenhaus in Abrede stellte, weil er (der Journalist) selbst die Auswirkungen der Pandemie erlebt und darüber berichtet habe. Was der Arzt nun also als eigene Wahrnehmung schilderte, müsse also offensichtlich falsch sein.
Das Interview ist aus mehreren Gründen interessant. Einer davon ist der des klassischen Sender-und-Empfänger-Problems, sprich: dasjenige, was gesagt wird, wird vom Gegenüber nicht zwangsläufig so verstanden, wie es gemeint ist. Das kann verschiedene Ursachen haben und sowohl daran liegen, dass wirklich ein Missverständnis vorgelegen hat oder dass der Empfänger den Sender absichtlich falsch verstehen wollte.
Ein anderer Umstand, der hier zu Tage tritt, ist folgender: die unterschiedliche Wahrnehmung von fachfremden Personen und Fachleuten. Ich will an dieser Stelle nicht Abrede stellen, dass der besagte Journalist in der Vergangenheit wie von ihm behauptet die Auswirkungen der Pandemie entsprechend intensiv erlebt hat. Trotzdem frage ich mich, weshalb es dem Journalisten so schwergefallen ist, dasjenige, was der Arzt gesagt hat, einzuordnen. Insbesondere frage ich mich, wie der Journalist sich anmaßen kann, die aktuelle Wahrnehmung des befragten Arztes pauschal in Abrede zu stellen.
Der letzte Punkt betrifft ein Problem, das auch in unserer beruflichen Praxis immer wieder auftritt.
Bei der Beratung von – zumeist juristisch nicht vorgebildeten – Personen stellen wir immer wieder fest, dass die Erklärungen von Fachleuten – also hier uns Rechtsanwälten – nur bedingt zur Kenntnis genommen werden. Häufig haben die den Rechtsrat suchenden Personen sich bereits anderweitig „informiert“, z.B. im Fernsehen, im Internet, bei Freunden und oder Bekannten – aber natürlich immer dergestalt, dass ein ordentliches juristisches Fundament nicht gegeben ist und dass nicht selten völlig falsche Schlussfolgerungen getroffen werden.
So ist das Erstaunen oft groß, wenn die betreffenden Personen dann vom eigenen Anwalt auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden müssen. Es reicht eben nicht, bloß in der Theorie Sachverhalte zu erörtern und dabei mit bestenfalls juristischem Halbwissen zu glänzen.
In der juristischen Praxis gehört zur Lösung eines Rechtsproblems auch deutlich mehr als die sture Rechtsanwendung. So müssen beispielsweise auch Entscheidungen ausgehend von den finanziellen Möglichkeiten getroffen werden. Eine einfache Fallgestaltung, anhand derer sich dies veranschaulichen lässt, sind Abmahn-Angelegenheiten. Hier ist es überproportional häufig so, dass Mandanten sich vorab im Internet informiert haben und zunächst schlechten Ratschlägen gefolgt sind. Wenn man dann als Rechtsanwalt mit der Erfahrung aus mehreren tausend Fällen erläutert, wie derartige Fälle in der Praxis laufen und insbesondere auch erklärt, welche finanziellen Auswirkungen falsche Entscheidungen nun haben, ist das Erschrecken groß.
Wer nun aber meint, dies würde zu Einsicht führen, wird häufig enttäuscht. Die Erfahrung zeigt leider: nachdem der fachfremden Person eine fachliche Einschätzung zugekommen ist, folgt an sich viel zu oft die Worthülse: „Ja, aber…“, die inhaltlich doch einigermaßen sinnlos ist.
Ich muss es leider einräumen: in unserer Kanzlei haben wir für Menschen, die auf juristische Erklärungen mit obiger Antwort reagieren, mittlerweile eine eigene – zugegebenermaßen nicht ganz freundliche – Bezeichnung: Jaaber. Zumindest verwenden wir den Begriff dabei geschlechtsneutral für (m/w/d/x) in dem Versuch, politisch korrekt zu handeln und auch wirklich jedes menschliche oder menschenähnliche Wesen zu erfassen.
Das Grundproblem aber bleibt in allen diesen Fällen – und auch in dem eingangs erwähnten Interview – bestehen: es ist zunehmend feststellbar, dass den Worten von Fachleuten nur eingeschränktes Gehör geschenkt wird und gleichzeitig – insbesondere dann, wenn die eigene Qualifikation es an sich nicht ansatzweise zulässt – die eigene Überzeugung zum Maß aller Dinge gemacht wird. Die jeweils fachliche Arbeit erschwert dieser Umstand ungemein, und im gesellschaftlichen Diskurs ergeben sich verhärtete Fronten heute deutlich schneller.
Nicht nur als Rechtsanwalt frage ich mich da so manches Mal, wo das noch hinführen wird.