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Aus dem Alltag eines Anwalts: Was du wolle?
Vor einiger Zeit begab es sich, dass dem Kollegen Schreiner ein Mandat aus dem Verkehrsrecht angetragen wurde. Bereits die Anbahnung des Mandats verlief ein wenig holprig: Unterlagen zu der Sache waren einem Dritten, der mit der Sache so gar nichts zu tun hatte, übergeben worden, in der Hoffnung, dass diese irgendwie den Weg zu meinem Kollegen finden würden. Und tatsächlich taten sie das auch, wenngleich die Bezeichnung „Unterlagen“ für die auf 1 Blatt Karopapier kindlich gefertigte Bleistiftskizze eines Unfallhergangs durchaus geschmeichelt ist.
Es kam zu einem kurzen Telefonat zwischen der potentiellen Mandantin und Herrn Rechtsanwalt Schreiner, bei dessen Schilderung der im Verkehrsrecht durchaus erfahrene Kollege sofort erkannte: die Mandantin hatte den Unfall unwiderlegbar verschuldet, es gab keinerlei Weg, zu einer günstigeren Haftungsverteilung zu gelangen. Also riet mein Kollege, im Interesse der Mandantin, von einer Beauftragung abzusehen – schließlich würde durch die Tätigkeit des Kollegen nichts erreicht, allerdings die Kosten deutlich in die Höhe getrieben.
Dies war auch der Anruferin nachvollziehbar, so dass die Angelegenheit schon wieder beendet war, noch bevor sie wirklich begonnen hatte. Angesichts der Tatsache, dass es sich um ein recht kurzes Telefonat zum „Kennenlernen“ gehandelt hatte, wurde eine Akte nicht angelegt.
Etwa ein halbes bis dreiviertel Jahr später – der Kollege war gerade im Urlaub – meldete sich ein Anrufer bei mir. Wir hatten in der Zwischenzeit unsere Tätigkeit als freie Mitarbeiter in einer anderen Kanzlei, in der sich auch die obige Mandatsanbahnung ereignet hatte, aufgegeben, und eine eigene Kanzlei gegründet.
Der besagte Anrufer schien einigermaßen erregt und forderte noch ohne Nennung seines Namens, auf der Stelle den Kollegen Schreiner zu sprechen. Da der Kollege außer Haus war und wir zudem solche Anrufer, die es nicht für nötig erachten, sich namentlich zu melden, so oder so nicht durchstellen, erkundigte ich mich zunächst danach, wer der Anrufer denn sei und wie ich ihm helfen könnte.
Die nächsten Minuten durfte ich einen mehr oder weniger sinnvollen Wortschwall über mich ergehen lassen, in dem ich immerhin erfuhr, dass der Anrufer wohl der Sohn der Dame war, deren Mandat vor Monaten nicht zustande gekommen war; im Übrigen, dass sich die Angelegenheit der Dame exakt so entwickelt hatte, wie der Kollege Schreiner dies im Erstgespräch prophezeit hatte. Nahezu auf den Cent genau hatte der Kollege damals der Anruferin die zu bezahlenden Unfallschäden genannt, ebenso, dass dies wohl eine Hochstufung bei der Versicherung zur Folge haben würde. All das hatte sich nun bewahrheitet.
Und all das war dem Anrufer ein Dorn im Auge.
Denn immerhin sei er selbst mehrere Jahrzehnte der Leiter einer Schadensregulierung bei einer Versicherung gewesen, und dort habe man solche Fälle immer mit einer Quote von 50% reguliert. Im Übrigen sei das Verhalten des Kollegen Schreiner, der sich erdreistet hatte, das Mandat gar nicht erst anzunehmen, in keiner Weise hinnehmbar.
Nachdem der Anrufer sich mehr und mehr in Rage redete und ich allmählich befürchtete, eine weitere Aufregung könnte zu einem Herzkasperl seinerseits führen, nutzte ich sein nächstes Luftholen aus, um ihn kurz zu unterbrechen.
Ich informierte den Anrufer zunächst, dass ich selbst zu dem Verfahren keinerlei Auskunft geben könnte, da ich zum einen nicht der damalige Sachbearbeiter gewesen war, zum anderen der Schilderung des Anrufers nach seine Mutter – und nicht er selbst – Mandant(in) gewesen wäre. Da Rechtsanwälte zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, wäre daher eine Auskunftserteilung an den Anrufer so oder so nicht möglich gewesen, da die Verschwiegenheitsverpflichtung auch gegenüber Familienmitgliedern gilt (es sei denn, der Mandant bzw. die Mandantin hätte den Rechtsanwalt insoweit von seiner Schweigepflicht entbunden).
Den Anrufer interessierte das allerdings nicht sonderlich, stattdessen forderte er nun nach der Darlegung einiger rechtlicher Wertungen, die nicht nur die seinen, sondern auch eigen waren, meine Einschätzung zur Rechtslage in dem betreffenden Unfall an. Dies lehnte ich ab. Nicht nur, weil ich im Verkehrsrecht ganz allgemein nicht tätig bin.
Mein abschließender Versuch, dem Anrufer vorzuschlagen, nötigenfalls gemeinsam mit seiner Mutter vorstellig zu werden, fand ebenfalls keinen Anklang. Stattdessen wurde ich informiert, dass das gar nicht im Interesse des Anrufers gewesen sei, er habe nur seinem Ärger Luft machen wollen.
Diese Mitteilung nahm ich dann zum Anlass, den Anrufer darüber aufzuklären, dass wir eine Rechtsanwaltskanzlei und nicht die Telefonseelsorge sind.
Denn so gern wir unseren Mandanten helfen: Anrufer, die nicht Mandanten bei uns sind, die für jemanden anrufen, der ebenfalls nicht Mandant bei uns ist, gleichzeitig dann über Rechtsfragen diskutieren wollen, die nach Abschluss eines Verfahrens so oder so nicht (mehr) von Bedeutung sind und dies darauf stützen, man habe (auch ohne juristische Ausbildung oder anderweitig erworbene, nennenswerte Kenntnisse) seine ganz eigene Wahrnehmung des Sachverhalts, gehen jedenfalls mir gehörig auf die Nerven. Und zwar nicht nur, weil unsere Arbeitszeit begrenzt ist und wir diese lieber für unsere Mandanten investieren, nicht aber für Leute, die einfach nur quatschen wollen.
Diesen Hinweis quittierte der Anrufer dann wie folgt: „Dann beauftrage ich Sie eben nie wieder!“, und legte auf.
Ich hoffe, dass die von dem Anrufer als Drohung verstandene Äußerung – so unzutreffend sie auch gewesen sein mag – tatsächlich ein Versprechen ist.